Der magische Blog von Zauberer Stefan Alexander Rautenberg

Der Rautenberg-Blog

Marvelli

Marvelli Plakat

Es liegt immer am Publikum, nie am Künstler!

Zur Erinnerung an Marvelli

Olof Becher Marvelli (1932 - 2008) bereiste als einer der großen deutschen Zauberkünstler des 20. Jahrhunderts Deutschland, Europa und die ganze Welt. Er war für Stefan Alexander Rautenberg ein Mentor und Freund.

Die erste Begegnung mit Marvelli war ein Foto im Handbuch der Magie. Dann sah ich ihn im TV: bei Klimbim, in Bio’s Bahnhof, in der Sendung von der Internationalen Funkausstellung, später in seinen eigenen Shows. Für mich als Junge, der sich so sehr für die Zauberkunst interessierte waren das ganz besondere Momente und ich dachte: So also sieht ein erfolgreicher Zauberkünstler aus, der wieder und wieder im Fernsehen erscheint.

Erst Jahre später gelang es mir, eine seiner Vorstellungen zu besuchen und ihn leibhaftig zu erleben. Das war im Dezember 1993, in der Nähe von Saarlouis, in Überherrn, im dortigen Kulturhaus.

Der Saal, mehr als gut gefüllt, kaum ein Platz blieb unbesetzt, offerierte eine hohe, breite Bühne mit geschlossenem, silbernem Vorhang. Eine Dame verkaufte Programmhefte. Man harrte erwartungsvoll des Auftritts des Meisters. Schlag 20 Uhr verlosch das Licht, um gleich darauf wieder aufzuflammen. Vor dem silbernen Vorhang nun stand, wie aus dem Nichts heraus erschienen, Marvelli persönlich. „Die Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige….“ So begann er seinen Abend, fing alle Zuschauer bereits mit diesem, seinem ersten Satz und hielt alle Anwesenden bis weit nach 23 Uhr in seinem magischen Bann. Und dann erzählte er vom Ansager, von der alten Regel, daß es immer am Publikum läge, nie am Künstler, zauberte die klingelnden Wecker herbei („Früh ins Bett und früh hinaus bringt Gesundheit und …“), präsentierte die Vase Arabo („Hier: der Einschuß, da: der Ausschuß, dazwischen: der Durchschuß“), verbrannte die Banknoten („Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen…“), verwickelte zwei Herren und eine Dame in die über alle Maßen amüsante Kartentrilogie („Ich liebe meinen Beruf…“), ließ mit einem kleinen Mädchen das Ei im Beutel verschwinden und erscheinen („Im Beutel ist es finster…“) und beschloß den ersten Teil mit den magischen Knoten an 6 Seidentüchern („Diese Blumen sind für Sie, genau die gleichen wachsen auch hier im Vorgarten…“). Dann war es bereits 21.30 Uhr, 90 Minuten für sechs Kunststücke.

Den zweiten Teil des Gala-Abends der Magie eröffnete Marvelli beschwörend mit der Dämonie der Würfel („Wer sie nicht kennte, die Elemente…“), öffnete dann das Buch des Nostradamus („Und dieses Buch, aus Nostradamus eigner Hand…“) aus dem heraus er die Ringe zog, die vor ihm schon ein Hofzinser oder ein Robert-Houdin berührten, erzählte dann von einer Partie Karten in Casablanca („Wer die meisten Asse hatte würde gewinnen, es war ein sehr einfaches Spiel…“), kam des weiteren zu dem großen Geheimnis des Indischen Seiles, brachte, wie es sich für eine Gala von Weltrang gehörte, auch das eine oder andere Tier zum Einsatz (Mr. Black und Mr. White) und beendete den offiziellen Part seines Gala-Abends mit seinem, und nur seinem, Sonne und Mond - Mirakel („Zwei Bogen Papier, doch was ist gemeint...“). Das Publikum, nach wie vor gefesselt von Persönlichkeit und dargebotenen Künsten, applaudierte überschwenglich.

Die Uhr zeigte bereits deutlich auf 23 Uhr. Und nun begann das eigentliche Wunder: Obwohl das Saallicht bereits aufgezogen war und der Vorhang geschlossen, verlangte das Publikum Zugabe um Zugabe. Es waren schon drei Stunden gewesen voll von Texten, Tricks und Träumereien, intelligenten Conférencen, kabarettistischen Bonmots, behende und gescheit präsentierten Zauberkünsten und das Publikum wollte noch mehr. Und Marvelli gab gerne dazu. So reihte sich ein kleines Kunststück an das andere. Immer wenn die Zuschauer die nächste Zugabe herbeiapplaudiert hatten, eröffnete Marvelli wieder und wieder mit Worten „Also gut.“ Und so kam, neben anderem, der verschwindende „Elefant“ auf offener Bühne, das kleine Zauberseil, um das herum eine wunderschöne Fee ein Seidentuch geknotet hatte, und schließlich der Faden der Ariadne.

Für diese letzte Szene aber bat Marvelli seine Gäste um folgendes: Er würde jetzt das letzte Kunststück bringen, aber er täte dies nur unter der Bedingung, daß das Publikum am Ende nicht zum Applaus ansetzen würde, sondern, ohne ihm einen solchen zu geben, das Theater verlassen sollte. („Ich bin der einzige Künstler der Welt, der sich einen solchen Abgang leisten kann.“) Und so war es dann auch, der zerrissene Faden der Ariadne fügte sich wieder zu einem einzigen Faden zusammen, Marvelli schenkte ihn einer Dame in der ersten Reihe, das Publikum erhob sich - leise, wie besprochen - und alle verließen schweigend das Theater. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Das war noch ein magischer Moment auf alle anderen, durch ihn bereits kreierten Momente, obendrauf. Welcher Künstler entläßt am Ende eines erfolgreichen Abends sein Publikum auf diese Art und Weise, ohne einen Applaus zu erwarten?

Marvelli im Jahr 2002
Marvelli im Jahr 2002

Jahre später empfing mich Marvelli dann in München, zum Frühstück im Vier Jahreszeiten, und erzählte mir von seinen Reisen und seinen Künsten, Geschichte um Geschichte: Von seiner ersten Begegnung mit Fredo Marvelli, vom Kartentrick für tausend Mark, vom Elefanten im Aufzug, vom Zuschauer, der aus dem Rang heraus das Geheimnis der Fluchtkiste verriet, von der Revue im Friedrichstadtpalast, von dem Auftritt, für den er zweimal bezahlt worden war, von den Reisen nach Afrika, von Klimbim, von Dieter Thomas Heck, Freddy Quinn, von Kalanag und Punx, von Alfred Bioleck, vom Bordgeld der Kreuzfahrtengagements, vom Gästebuch, vom Zauberzelt, von den Plakaten in München, vom Bürgermeister von Stuttgart und von vielem, vielem, vielem mehr. Marvelli hat mich seit dem wieder und wieder empfangen und es vergeht keine Reise nach München, ohne einen Besuch am Viktualienmarkt. Und dann machen wir einen kleinen Spaziergang, suchen uns einen gemütlichen Platz, er erzählt mir vom dem was war, und ich erzähle ihm von dem was ist. Und so haben wir beide etwas davon.
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Wer Marvelli begegnet, der begegnet dadurch auch Fredo Marvelli; wer Fredo Marvelli berührt, gelangt zu Ottokar Fischer; wer zu Ottokar Fischer gelangt, geht zurück ins 19. Jahrhundert und erreicht schließlich Johann Nepomuk Hofzinser. Marvelli steht hier in direkter Folge und ist selbst in der Welt der Zauberkünste, die er in bemerkenswerter Art und Weise durchschritten hat, eine historische Persönlichkeit geworden.
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Diesen Beitrag verfasste ich im Jahr 2007 zu Marvellis 75. Geburtstag, die Veröffentlichung erfolgte in der Zeitschrift MAGIE.
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Fotohinweis: Alle Fotos auf dieser Seite von Stefan Alexander Rautenberg

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